Seidenstrümpfe und Krönungsmantel
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Welches Kostüm in welcher Farbe hatte 2004 Angela Merkel angezogen, um gegen den Noch-Kanzler Gerhard Schröder, wohlgestylt im Armani Anzug, anzutreten?
Welche Krawatte hatten Kanzler und Herausforderer 2002 beim Fernsehduell getragen? Hielten sie ihre Hände angemessen ruhig? Warum stützten sie sich während der gesamten Sendung auf dem Stehpult ab?
Ein solches Auftreten, sagen die Öffentlichkeitsberater, lässt bei uns Zuschauern ein Bild von Konzentration und Durchsetzungskraft entstehen. Abwägend, besonnen, entschieden, so wollen wir den Kanzler oder künftig die Kanzlerin regieren sehen.
All das drückt Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel bei ihrer Rede auf dem Parteitag der CDU im November 2006 souverän aus. Ein durchdachtes, ausdrucksstarkes Foto.
Auch Ludwig XIV. hat sich von Öffentlichkeitsberatern unterrichten und Vorschläge unterbreiten lassen. Historiker haben den königlichen Apparat untersucht, den der erste Minister Ludwigs, Kardinal Mazarin, bereits ab 1643, der Thronbesteigung des vier Jahre alten Herrschers, aufgebaut hatte. Auch Ludwigs spätere engste Mitarbeiter sahen es als zentrale Aufgabe an, den König im Lande und in Europa ins rechte Licht zu setzen.
„Das königliche Bild muss als Gemeinschaftsprodukt betrachtet werden. Maler, Bildhauer, Kupferstecher arbeiteten daran ebenso wie Hofschneider, Perückenmacher und Tanzmeister, Dichter und Ballettchoreographen und die Zeremonienmeister, die die Krönungsfeierlichkeit, die königlichen Entrées und andere öffentliche Veranstaltungen dirigierten.“ (Peter Burke, Ludwig XIV., Die Inszenierung des Sonnenkönigs, Frankfurt 1995, S. 70)
Rigauds Gemälde von 1701 war eigentlich für Philipp V. von Spanien gedacht. Für den spanischen König? Ja, der Sonnenkönig hatte durchgesetzt, dass der kinderlose spanische König Karl II. noch kurz vor seinem Tode testamentarisch Ludwigs Enkel Philipp von Anjou und damit einen Bourbonen als Nachfolger einsetzte. Schließlich war Ludwigs Frau Maria Theresia die Tochter des spanischen Königs Philipp IV. Im Enkel floss also spanisches Blut. Alle europäischen Fürsten versuchten übrigens in dieser Zeit durch Heiratspolitik und Erbansprüche ihre Gebiete zu vergrößern, oft mit großem Erfolg.
Nun gefiel das Gemälde dem König so gut, dass er seinem Enkel lediglich eine Kopie zukommen und das Original in Versailles im Salon dOApollon aufhängen ließ. Warum gerade hier? Auch die großen anderen europäischen Fürstenhäuser erhielten solche Geschenke im Format von 2,77 mal 1,94 Meter. Hat es der deutsche Kaiser, ein mehrmaliger erbitteter Kriegsgegner Ludwigs, auspacken lassen? Haben es die Briten ausgestellt, später vielleicht sogar mit Thackerays bissiger Karikatur zusammen: Ludwig als kleiner, dickbäuchiger Glatzkopf, der Perücke und Robe benötigt, um königlich aussehen zu können.
Wie wirkten überhaupt Rigauds Gemälde und die zahlreichen anderen Bilder, Statuen, Münzen, Kupferstiche auf die Betrachter? Konnten die Zeitgenossen Ludwigs Kleidung genauso einschätzen, wie wir das heute bei des Kanzlers Anzügen, den Hemden und Krawatten tun, auch, weil wir das von den Illustrierten „erzählt“ bekamen? Warum kommt der Bundespräsident auf dem offiziellen Staatsporträt, das z.B. in den deutschen Botschaften im Ausland hängt, ohne Symbole wie Krone, Schwert und Zepter aus?
Warum lässt sich Ludwig mit hoher, gelockter Perücke (Allongeperücke) und einem kostbaren Umhang malen, außen mit der Lilie, dem Wappen der Bourbonen besetzt, dem Adelsgeschlecht, das seit 1589 das französische Königshaus stellt. Warum ist der breite Krönungsmantel so schwungvoll und über die linke Schulter geschlagen? Soll so das Richtschwert betont werden? Es ist schließlich das Schwert Karls des Großen. Der regierte fast über ganz Mitteleuropa. Das Zepter soll Heinrich IV. benutzt haben, der erste Bourbone auf dem Königsthron. Wer trug die Krone zuerst? Wen stellt das Relief hinter der Krone dar, die Dame mit Schwert und Waage? Ist sie absichtlich genau dort platziert? Warum liegt da ein Stab hinter der Krone mit ausgeformter Hand und zwei gestreckten Fingern? Sollen die Seidenstrümpfe auf die Seidenraupenzucht in Lyon anspielen und die feinen Spitzen an die in Ludwigs Zeit eingerichteten Verlage und Manufakturen im Norden Frankreichs erinnern, dicht an der Grenze zu den spanischen Niederlanden?
Im Staatsgemälde Rigauds steckt wirklich viel Geschichte. Hilfen und Tipps im Netz!
Seidenstrümpfe und Krönungsmantel
Herrscherbilder untersuchen - Ludwig XIV., Hyacinthe Rigaud, Louvre, 1701