Die Kaiserliche Familie auf der Schönbrunner Schlossterrasse
Fiktiver Brief Maria Theresias
Ecce!
Schaut her, wir sind die Kaiserliche Familie.
Also, die stattliche Person rechts im Bild, das bin ich, Maria Theresia.
Was für einen Sinn das macht, in dem von mir in Auftrag gegebenen Bild meines Hofmalers Meytens scheinbar nur am Rande zu sitzen, davon später!
Ich nenne mich auch Kaiserin, ich führe den Titel aber als Gemahlin des „Römisch-Deutschen Kaisers“. Franz Stefan ist mein Mann, links im Bild. Meine Eltern haben ihn für mich ausgesucht, damit das Herzogtum Lothringen, dessen Erbe er antreten sollte, auf keinen Fall an den Erzfeind Frankreich fällt. Gut, Lothringen wurde dann zwar nicht mit unserem Haus verbunden, kam also nicht zu Habsburg. Franz Stefan wurde zum Kaiser gewählt unter der Bedingung, dass er die Herzogswürde an den abgesetzten polnischen König abgibt. Der musste ja versorgt werden. Dagegen konnte Franz Stefan aber das Großherzogtum Toskana eintauschen. Für uns Habsburger ein großer Gewinn, weil wir damit in Mittelitalien noch deutlicher Fuß fassen konnten.
Es war eine Liebesheirat wie alle Welt an unseren Kindern erkennen kann. Das gehört aber nicht weiter hierher. Oder doch? Meine Kinder sind in Fürstenhäusern in ganz Europa untergekommen. Wir sind eben eine mächtige Familie!
Mich wollten die deutschen Kurfürsten 1740 nicht als Thronerbin anerkennen, obwohl mein Vater der römisch-deutsche Kaiser war und wir Habsburger von 1438 bis 1740 den Kaiser stellten. Nur, mein Bruder starb früh, 1712, ihn kannte ich gar nicht, bin ja erst 1717 zur Welt gekommen. Mein Vater, Kaiser Karl VI., versuchte zunächst, die alten Bestimmungen aufzuheben, dass nur in der männlichen Linie der Anspruch auf die Kaiserwürde anzuerkennen sei. Das war aber gegen die Kurfürsten aus Bayern, Sachsen, Brandenburg, der Pfalz und von Köln nicht durchzusetzen. Kurfürsten? Curare ist lateinisch und heißt wählen, die Kurwürde bedeutet also für einen Fürsten, zum erlauchten Kreis derer zu gehören, die den Kaiser wählen. Übrigens eure Landgrafen von Hessen versuchten immer wieder, in den Kreis aufgenommen zu werden. Das hätte der Kaiser durchaus bestimmen können, aber die Hessen haben sich eben schon im 16. Jahrhundert auf die Seite der Evangelischen geschlagen und gegen Habsburg und den Kaiser gekämpft. Außerdem sind sie zurzeit mit dem Preußenkönig, meinem ärgsten Feind, König Friedrich II. von Preußen, verbündet.
Also das können sie sich zunächst mal „abschminken“. Leider haben sie dann 1803 doch noch die Kurwürde erhalten, aus Hessen-Cassel wurde Kurhessen. Aber lassen wir das jetzt!
Ich wollte ja auf das Bild und meinen speziellen Auftrag dazu eingehen.
Sie, die deutschen Fürsten und der König von Frankreich und der von Spanien warteten alle nur darauf, nach dem Tod meines Vaters 1740 einzelne Gebiete aus den österreichischen Erblanden heraus zu brechen. Aber in der Pragmatischen Sanktion 1713 hatte er vorgesorgt. Das ist eigentlich ein einfaches Wort. Pragmatisch heißt so in etwa „deutlich auf ein Ziel hin orientiert“ und Sanktion, na ja, da steckt sanctus drin, heilig. Eine Sanktion ist ein grundlegendes Gesetz, ein heiliges, unantastbares Gesetz. Jedenfalls wollte mein Vater diesen Status für die Verfügung absichern, dass die österreichischen Erblande unteilbar sind und dass im Hause Habsburg jeweils das älteste Kind die Erbfolge antritt, egal ob männlich oder weiblich. Er hatte schon meine Zukunft im Blick. In Großbritannien galt das ja auch, ebenso in den Niederlanden oder in Dänemark und Schweden. Sogar in Russland war das kein Problem. Katharina die Große ließ 1762 ihren Mann, Zar Peter III., den Preußenfreund, absetzen. Das war praktisch ein Staatsstreich. Geschickt, geschickt! Sie wurde dann aber auch meine Gegenspielerin, als sie ihr Reich bis zur Krim, also an das Schwarze Meer ausdehnte und dann sogar noch Griechenland und Konstantinopel erobern wollte was für ein Riesenreich! Dann wäre das Osmanische Reich schon einhundert Jahre früher aufgelöst worden, Russland hätte den Mittelmeer Zugang, würde den Bosporus kontrollieren.
Gut, lassen wir diese Spekulationen.
Einige politische Zugeständnisse musste mein Vater schon machen, um die Zustimmung Englands, Spaniens, Frankreichs und Russlands zu erhalten. Darauf will ich hier nicht näher eingehen. In eurer Zeit gibt es ein schönes Lexikon, die Wikipedia, da steht das ganz gut drin. Schaut mal nach! Jedenfalls, die Pläne meines Vaters gingen zunächst auf, bis Friedrich II., König von Preußen seine sehr entfernte Verwandtschaft mit Habsburg zum Vorwand dafür nahm, in Schlesien einzumarschieren. Aber in den drei Kriegen um Schlesien haben wir Schlimmeres für Österreich verhindern können. Den österreichischen Erblanden hätte durchaus das passieren können, was Polen dann widerfuhr, durch die drei Teilungen bis hin zur Auflösung des Staates. Daran habe ich - leider sage ich heute mitgewirkt. Die europäische Machtpolitik hat es geboten.
Könnt ihr euch eigentlich vorstellen, was ein Staatsgemälde in meiner Zeit für eine Bedeutung hatte. Mein Hofmaler Meytens hatte mich nur einmal porträtieren können, ich gewährte zweimal eine halbe Stunde. Er fertigte Skizzen an, die er dann später auf das Ölgemälde übertrug. Mehr Zeit wollte ich nun wirklich nicht aufbringen. Mein Mann verfuhr ebenso. Meine Kinder, da genügte jeweils eine halbe Stunde.
Meytens unterhielt eine Werkstatt, über zwanzig Maler beschäftigte er. Das wichtigste Staatsgemälde liegt dir vor. Schaue es genau an. Die Hunde, der Stern und mitten drin, also im Goldenen Schnitt bestens platziert, mein Sohn Joseph. Darum geht es in erster Linie.
Das Bild stellt heraus, dass Joseph der legitime und einflussreiche nächste römisch- deutsche Kaiser sein wird und alle Fürsten Europas das zu akzeptieren haben.
Mir ist es gelungen, meine Tochter Marie Antoinette mit dem Dauphin, dem künftigen König von Frankreich zu vermählen. Im Bild ist das noch nicht direkt erkennbar. Aber die Verhandlungen dafür und für einen angemessenen Vertrag mit den Bourbonen, dem französischen Königshaus, waren schon angelaufen. Marie Antoinette ist noch im Hintergrund platziert. Es sollten 1756 noch nicht alle wissen, wie meine Heiratspolitik im Detail aussieht.
Habt ihr die Hände genau betrachtet, genial wie Meytens hier die von Franz Stefan, Maria Christina, Joseph und von mir in einem Bogen anordnet, der bis zu Karl Joseph verläuft. Leider ist er zu früh gestorben, er hätte meine Politik in Ungarn und an der Grenze zum Osmanischen Reich in Serbien und Kroatien als erfahrener Soldat bestens fortsetzen können, als Nachfolger von Gideon Ernst Freiherr von Laudon, meinem erfolgreichen Feldmarschall und Generalissimus.
Habt ihr die zwei Kronen rechts im Bild neben mir auf dem kleinen Tisch entdeckt. Ich bin Königin von Böhmen und Ungarn, also zweimal Regentin. Mein Titel als Erzherzogin von Österreich bedeutet zwar mehr Macht, aber zweimal die Königswürde gibt schon was her, oder? Mein Mann ist der gewählte Kaiser. Eigentlich bin ich mächtiger als er. Da wir uns aber gut verstehen, ist das nicht wichtig. Wichtig ist mir, dass Joseph beide Herrscheransprüche auf sich vereinen kann.
Habt ihr die zwei Adler entdeckt, auf den Obelisken hinter Joseph? Wir führen den Doppeladler im Wappen. Der sieht viel eindrucksvoller aus als der deutsche Reichsadler.
Habt ihr die beiden Kronen auf den zwei gleichen Sesseln entdeckt? Auch diese repräsentieren die Doppelmonarchie und die christliche Segnung der Herrschaft.
Warum schauen eigentlich alle Personen euch direkt an? Das ist umgekehrt zu verstehen. Wir sagen: „Ecce“. Das heißt „Seht her!“ Steht schon einmal oben. Nun gut, jetzt ist die Bedeutung vielleicht klarer. Es ist ein zwingender Blick im Sinne von, glaubt uns ruhig. Wir sind die mächtigste Familie in Europa. Der neue Kaiser wird wieder den Mittelpunkt der europäischen Politik bestimmen, weil er aus der Mitte heraus kommt. Unsere österreichischen Erblande verbinden Osten und Westen, Norden und Süden, drängen die Osmanen aus Europa hinaus, halten den Preußenkönig in Schach und sorgen in Oberitalien für Ordnung.
An der Kleidung könnt ihr erkennen, dass wir die übertriebene Mode des Rokoko nicht mitmachen. Mäßigung ist wichtig, Würde. Franz und ich haben eine Innenpolitik der langsamen Modernisierung eingeleitet, beispielhaft für Europa. Aufhebung der Leibeigenschaft, der Folter, Lockerung der Zensur, Zugeständnisse an das Gewerbe, der Beginn einer Schulpflicht und der Ausbildung der Lehrer. Vergleicht einmal unsere Frisuren mit denen des französischen Adels der Zeit. Auf diese Hochfrisuren können wir wahrlich verzichten. Ebenso auf die spitzen Schuhe mit den hohen Absätzen, auf die Ludwig XIV. so viel Wert legte, weil er so zwei Zentimeter größer wurde, peinlich!
Habt ihr die Diademe entdeckt, die Colliers? Könnt ihr schätzen, was für einen Wert die haben? An Josephs Rock sind Goldstickereien aufgebracht, die heben sich vom Rot so deutlich ab. Es ist ein Königsrot. Die Farbe wiederholt sich in den beiden Sesseln und in meinem weiten Umhang, der vorn rechts sogar wieder ins Bild hinein gerät, weil ich eine so große Herrschaft zu regieren habe und symbolisch dafür einen sehr weiten Umhang benötige.
Die Farb- und Zeichensprache haben wir selbstverständlich unserem Hofmaler aufgetragen.
Ist euch aufgefallen, wie scheinbar zufällig das Licht von links einen Schatten erzeugt, der vom kleinen Tisch und der schweren Decke darauf gebildet wird, um von dort in den Vordergrund bis hin zur Bildmitte zu reichen, beinahe die beiden Hunde berührend.
Das kann doch kein Zufall sein. Bestimmt nicht!
Auf dem Tischchen stehen die Kaiserkrone, der Reichsapfel und das Reichszepter, die Symbole der kaiserlichen Macht. Franz I. zeigt auf Joseph. Ihr könnt eine Linie ziehen vom Reichsapfel über des Kaisers Hände bis auf Josephs Hand. Genügt das?
Die Insignien befinden sich bereits auf der Linie, die werden von Franz I. an Joseph übergeben werden. Das alles verkünden die Hunde, nur scheinbar spielend. Der eine hebt die rechte Vorderpfote, Achtung. Hunde sind in der Symbolsprache meiner Zeit treue Hirten der Herden. Lasst euch nicht davon täuschen, dass es zwei kleine Hunde sind. Sie drücken Wachsamkeit aus und repräsentieren vier zentrale Tugenden meiner Herrschaft: veritas, justitia, misericordia und pax (Wahrheitsliebe, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Friedenswille).
Hunde symbolisieren den Prediger, der verkündet etwas.
Ecce, seht her!
Das Licht scheint auf Joseph und mich. Ist euch aufgefallen, dass ich den Stern in dessen Mitte mit meinem rechten Fuß fast berühren kann und dass Joseph seine Füße leicht auseinander gestellt hat. Er steht genau über dem Sternzentrum. Er ist das Zentrum. Es ist ein achtstrahliger Stern, wie der Stern von Bethlehem, das Königssymbol. In der Bildsprache meiner Zeit werden das alle Betrachter verstehen. Hier steht der künftige Herrscher.
Kopien schicken wir an alle großen Herrscherhäuser Europas.
Warum sitzt auf Maria Annas linker Hand ein Affe?
Also ehrlich, was das bedeuten soll, habe ich vergessen.
Trotzdem viel Erfolg bei der Bildbeobachtung und bei der Interpretation.
PS
Auf die Frage, was für einen Sinn es macht, gar nicht in der Mitte des Bildes zu sitzen, eher am Rand, darauf will ich noch kurz eingehen. Habe es eingangs ja versprochen.
Es macht viel Sinn, denn im Bild kommt das Licht von links und fällt hauptsächlich auf mich. Das hat Meytens so zu malen gehabt, weil ich eben die Herrscherin bin. Außerdem gefällt mir das, im Mittelpunkt zu stehen, ohne sofort erkennbar in der Mitte zu sein. Ich lenke nämlich oft auch verborgen die Geschicke meines Landes und beeinflusse umsichtig und im Blick auf das Ganze die europäische Politik.
Dabei unterstützt mich jetzt und später meine ganze Familie immens!
Die Kaiserliche Familie auf der Schönbrunner Schlossterrasse
Wien 1755-56, Martin van Meytens, Hofmaler