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Zur Parkgestaltung


Drei Exkursionen:

Bildkompositionen
A. H. Payne - 1840er Jahre


Im Weitwinkel
G. Kobold, Serie um 1800


Panorama Wilhelmshöhe
Postkarte 1907




Varianten des Blicks von der Schlossterrasse über die Fontäne hoch zum Herkules

Die
Haupt-Achse (Herkulesachse) der Parkgestaltung steht im Mittelpunkt. Diese vier Fotos sind Momentaufnahmen. Die zwei weiter unten eingefügten Bilder sind bearbeitete Ansichten.

Ausgangspunkt für diese Zusammenstellung und die einzelnen Bildbeschreibungen ist das Foto oben rechts.

Die Schwarz-Weiß-Aufnahme "Panorama von Wilhelmshöhe" ist die Ansicht auf einer Postkarte, die 1907 von Cassel aus an eine Frau in Holland geschickt wurde. Ich untersuche das Bild im Verfahren einer tiefen Beschreibung. Die Einleitung dazu: Irgendwie zieht die Fotografie unseren Blick in die Bildmitte hinein und hoch zum Herkules. Die Flächen in der unteren Bildhälfte erzeugen Weite, die sich durch die gestuften Grautöne im Baumbestand auflöst. Oben in der Mitte bleibt die Achse im helleren Grau frei. Die Personen erscheinen wie "vor die Landschaft gesetzt". Hat der Foto-Künstler nachbearbeitet, um durch verstärkte hell-dunkel Kontraste das "Gemälde" zu unterteilen? Das spielt dem ausgesuchten Blickwinkel zu, der drei Ebenen erzeugt.

Das Foto hat mich zu eigenen Fotos angeregt, die ein wichtiges Instrument meiner Forschungen rund um die Parkgestaltung geworden sind: So ist die Kopplung von Bilduntersuchungen, Spaziergängen und eigenen Fotoaufnahmen entstanden. Warum mich dieses Foto so beeinflusst hat, arbeite ich in einem eigenen Kapitel heraus. Hier unter "Panorama Wilhelmshöhe Postkarte 1907".

Die Untersuchung weiterer fünf Objekte hier soll die tiefe Beschreibung der Postkartenansicht "Panorama von Wilhelmshöhe" mehr als abrunden. Bilder in diesem Blickwinkel sind das mit am häufigsten gesuchte Motiv für Ansichten auf Postkarten. Die zentrale Achse wird uns Betrachtern als der markante Kern des Bergparks fast schon aufgedrängt. Es lohnt sich aber, im Blick hoch zum Herkules auch andere Achsen und Fixpunkte wie die Plutogrotte in der Mitte zwischen Fontäne und großen Kaskaden wahrzunehmen. Und dann dieser gelenkte Blick, den Profi-Fotografen erzeugen und den wir heute mit Selfies gern nachvollziehen: Die Erdkugel, die Laterne, die Querachse unterhalb der Schlosstreppe sind nicht nur prägnante Gestaltungselemente für Fotos. sondern zugleich Objekte für Einordnungsversuche.

Wenn wir den Bergpark von der Schlosstreppe aus betrachten, suchen und finden wir Details und Strukturen.
Was sehen wir da eigentlich? Einen Park, einen Berghang, Parkarchitekturen, eine Schneise, eine große Wiese, Baumgruppen, Wald und ganz oben dieses irgendwie immer auch eigenartige Gebilde, die Riesengrotte mit den Kaskaden den steilen Hang hinab. Ist das alles zusammen nicht irgendwie auch irritierend?

Wie beeinflussen Datails, Gesamtsicht und Strukturen unser jeweils individuelles Konzept der Wahrnehmung und die Interpretation des Bergparks? Wie können wir das Gesehene deuten und verstehen?

Ich lade zu einem nachdenklichen Betrachten ein. Die folgenden Bildbeschreibungen nehmen diese Überlegungen auf und suchen nach Einordnungen, gemeinsamen Bild-Ideen, wiederkehrenden Mustern und Bildformeln, nach Abweichungen, Unstimmigkeiten und Unterschieden.


Kassel-Wilhelmshöhe - Bergpark

Der Titel der Ansicht oben links ist schlicht und weit gefasst. Wir sehen ja nicht den gesamten Bergpark. Die Postkarte ist im Jahr 1957 abgestempelt. Die Aufnahme kann zwei, drei Jahre älter sein.
Geht es dem Fotografen um die Herkulesachse oder um die Besucher, die zu den Barocken Kaskaden hochschauen und anscheinend auf den Beginn der Wasserspiele warten? Oder interessiert ihn die im Foto erfasste Struktur der Parkgestaltung? Drei horizontale Linien durchbrechen den Gesamteindruck: Erstens die Mittelachse der Plutogrotte entlang, zweitens das Queren der senkrechten Achse durch die horizontale Linie vor dem Fontänenteich. Drittens, die Szenerie vor dem breiten Weg an der Schlosstreppe fängt unseren Blick ein und lenkt von der Konzentration auf die beeindruckende Schneise hoch zum Oktogon ab.

Der Weg im Vordergrund durchschneidet die Fotografie wie ein helles, breites Band. Die große Kugel mit dem Relief der Erdteile fällt auf. Sie bildet einen Kontrapunkt zu den Personen, die sich zwischen Weg und unterster Stufe der Schlosstreppe positioniert haben. Fast alle schauen der Achse folgend zum Herkules hoch. Die Dreiergruppe vorne am Rand bilden zwei Frauen und ein Mann. Die Frau links im hellen Mantel hakt sich bei der Frau daneben ein. Beide tragen Hüte. Der Mann, mit einem Schritt Abstand daneben, hört zu. Oder, er bemerkt etwas und deshalb wenden die Frauen den Kopf hin zum Sprecher. Der Herr steht lässig, abwartend, das deutet das linke leicht gebeugte Spielbein an. Er dreht uns den Rücken zu, die Hände halten die nach hinten gedrückten Arme. Weiter rechts blickt ein Mann mit Rucksack leicht Richtung Gewächshaus, er scheint etwas zu beobachten. Auf der steinernen Bank in der unteren Bildmitte sitzen mit Abstand eine Frau und ein am rechten Rand ein Mann. Dieser stützt mit einer Hand ein Kind, das dicht neben ihn gerückt ist. Die Bank hat keine Lehne. Die drei betrachten das Landschaftsbild vor ihnen, ebenso wie die beiden Herren auf zwei Holzbänken rechts daneben. Der eine stützt den linken Arm auf die Rückenlehne, der andere hat den Kopf leicht gesenkt. Vielleicht schaut er in einen Reiseführer. Dicht hinter einer Frau im dunklen Kurzmantel steht ein Herr im hellen Anzug, beide in einer Wartehaltung. Sie hält den linken Arm nach vorn, der andere ist nicht zu erkennen, weil der Mann sich dicht dahinter gestellt hat. Er drückt beide Arme nach hinten, die linke Hand fasst den rechten Unteram und gibt der Stellung einen Halt.

Diese Figuration beeinflusst den Bildeindruck entscheidend, indem sie veranlasst, in der Wahrnehmung der Gräutöne gedanklich aufzugehen, die die verschiedenen Bildsegmente voneinander abgrenzen. Das Herkulesmonument verliert im Gewirr der Gehölze an Kontur. Es erscheint wie ein hoher, steinerner Block.
Dagegen erfassen wir eher klar ein Stimmungsbild von abwartenden Personen entlang der Linie vor der Schlosstreppe. Der Fotokünstler erfasst die spontane Platzierung von Zuschauern im Habitus eines Verweilens, Betrachtens und Wartens. Die Postkarte ist 1957 abgestempelt. Der Park lädt ein, die Besucher lassen das Corps de Logis im Hintergrund, den von Bomben getroffenen und ausgebrannten Mitteltrakt des Schlosses. Die Kleidung und die Form des Rucksacks beim Herrn rechts deuten darauf hin, dass das Foto bereits in den frühen 1950er Jahren aufgenommen und vielleicht mehrfach für den Druck von Postkarten benutzt wurde. Käufer können sich mit der Szenerie, dem Abwarten, dem großen Rucksack identifizieren.


Foto 2019

Es ist ein Ausschnitt aus einer Aufnahme von der Schlosstreppe aus, der auf die Wahrnehmung und Einteilung von vier Flächen ausgerichtet ist, also den Blick lenkt. In der Bildmitte, auf dem Bowlinggreen, positioniert die Momentaufnahme zahlreiche Personen, die zwischen Broderie und Hang verweilen, umhergehen, sich unterhalten. Die Anlage insgesamt und die Konstruktion von Achse und Diagonale sind für sie Kulisse, einfach ein schöner Ort, um spazieren zu gehen, sich zu treffen, den Hund auszuführen. Von dieser dabei beiläufig wahrgenommenen Umgebung hebt sich in der Bildkonstruktion die Broderie ab. Fast das halbe Bild einnehmend bringen die so vielschichtig und akkurat angelegten Beete im Vordergrund den Kontrast barocker Festlichkeit ins Spiel. Der Landschaftsgarten, die Achse und auch das Herkulesmonument mit den barocken Kaskaden verlieren sich im Hintergrund.


Foto 2018

Das Panorama rechts unten ist eine Weitwinkelaufnahme, mein Foto aus dem Jahr 2018. Mir geht es um die Herbststimmung und die Größe des Parks. Um die Weite zu betonen steckt in der Konstruktion die Aufforderung, von der Kugel unten links nach rechts oben zu schauen. Die Mittelache erscheint als Verlängerung des Bowlinggreens hoch zum Herkules. Kommt dabei nicht zugleich eine Diagonale in den Blick, Kugel - zwei Bänke - zwei Kleinarchitekturen? Die zwei weiß strahlenden Bänke unterhalb der gepflasterten Schlossauffahrt sind der Gegenpart zu den beiden hell aus dem Grün hervorleuchtenden Kleinarchitekturen. Die ebenfalls weiß leuchtende Linie in der Bildmitte mit den fünf Bänken am Weg vor dem Fontänenteich, trennt einerseits Bowlinggreen und Mittelachse, andererseits lenkt sie aber den Blick nach oben. In dieser Perspektivierung geht die Wahrnehmung der Herbststimmung nicht verloren. Sie passt zum intendierten Gesamteindruck, erzeugt Weite. Die Ausdehnung, die Dimensionen des Bergparks werden zusammen mit den Details sichtbar, die die Gestaltung des Bergparks so einzigartig machen.


Schauen wir uns noch die zwei anderen Panorama-Bilder an. Wiederum vermitteln Details der Perspektivierung den jeweiligen Bildeindruck.

Die Fontäne und der Herkules

Der Druck rechts
ist eine handkolorierte Lithografie, untertitelt mit "Die Fontäne und der Herkules". Die Grafik ist die Übertragung der Zeichnung des Kasseler Künstlers Ed. Primavesi aus dem Jahr 1800 auf den Kalkschiefer Druckstein. Abzüge gibt der Verlag Geeb & Reusch heraus. Fritz Lometsch hat einen Abzug in seine Sammlung "Kassel und Wilhelmshöhe in alten Stichen und Lithografien" aufgenommen, Arche Verlag, Kassel o. J..

Mein Scan hier zeigt ein Souvenirblatt, also ein Verkaufsobjekt. Der Titel ist auch auf englisch angegeben.

Der Standort ist eigenwillig. Von diesem aus nimmt der Künstler die Achse nicht mittig in den Blick, sondern betrachtet links vom Rand des Bowlinggreens aus das Ereignis der Großen Fontäne und der Fontänen unterhalb des Herkules. Beide Wasserbilder ereignen sich nicht gleichzeitig und der Wassersturz vom Aquädukt klingt ab, wenn die Große Fontäne aufsteigt. Alles unwichtig für den Künstler. Er liefert ein Idealbild ab, das mehrere vom Bowlinggreen aus sichtbare Höhepunkte zusammen in einer Anschauung verbindet.

Steckt in dieser Ausrichtung vom Rand des Grüns aus nicht die Aufforderung an Besucher, die Gestaltung des Bergparks sowohl in Details als auch in der Gesamt- Komposition wahrzunehmen?
Der breite Weg nach rechts hoch zum Aquädukt irritiert. Die Figurinen schauen zur Fontäne und hoch zu den barocken Wasserspielen. Ihr Blick folgt der zentralen Mittelachse. Sind die Betrachter des Stiches aber nicht zugleich aufgefordert, dem im Bogen nach rechts in den Bergpark hinein führenden Weg zu folgen? Der Künstler lädt dazu ein, dort eine Sicht-Achse wahrzunehmen, die entlang der Peneus-Kaskaden, also zwischen Apollontempel und Halle des Sokrates hoch zum Aquädukt führt und in Fortsetzung der Linie sogar den Merkurtempel erreicht.


Wilhelmshöhe. Ein Blick von der Schlossterrasse nach dem Herkules

Auch die Ansicht auf der Postkarte links
bewertet die Sichtachsen-Frage speziell, denn sie konzentriert unser Hinschauen auf die Mittelachse und im Kern auf die barocken Kaskaden weit oben im Bild. Das erzeugt einen zwingenden Blick, indem wir das hell leuchtende Ereignis besonders in Augenschein zu nehmen.

Die Postkarte ist im Jahr 1918 gelaufen und untertitelt mit: "Blick von der Schlossterrasse nach dem Herkules". In die bearbeitete und nachkolorierte Fotografie ist das Bild eines Wach-Soldaten einmontiert. In der Mitte unten vor der Broderie, perspektivisch etwas zu klein geraten, präsentiert er stolz die preußische Uniform mit der Pickelhaube. Er schaut zu uns und erzeugt dabei eine Irritation. Was hat ein Wach-Soldat auf einer Postkarten-Ansicht 1918 zu suchen? Die Postkarte ist zwar in diesem Jahr abgestempelt worden, die Druckvorlage, also das bearbeitete Foto, dürfte aber eher aus der Vorkriegszeit stammen. Die Wilhelmshöhe ist seit 1866 Krongut des Königs von Preußen. Kaiser Wilhelm II. pflegte in der Vorkriegszeit mit Teilen des Hofstaats regelmäßig im Sommer in Kassel zu verweilen.

Was irritiert? Die so üppig springenden Wasser der barocken Kaskade unterhalb des so wuchtigen Kastens stechen durch den eigenwilligen Farbauftrag hervor. Zwei Fontänen schießen zeitgleich in ihre volle Höhe, einmal die unterhalb des Oktogons aus dem Artischockenbassin und dann der Strahl vom Riesenkopfplateau aus, die Fontäne des Encelados. Im tatsächlichen Ablauf schwächen sich die obere Fontäne und auch die untere ab, wenn die Wasser hinunter zum Neptunbassin fließen. Die Kaskaden erscheinen wie vier Bänder und in der Mitte als breiter Streifen. Der Wasserlauf über die Kaskaden-Treppen ist nicht zu erkennen.

Das so erfasste und nachträglich im Foto bearbeitete Szenarium unterschlägt die Stufung, den Ablauf der Wasserbilder. Ist das so wichtig für ein Bild, das als Werbung und Souvenir gedacht ist?

Die Übermalung dieser Details durch den starken Farbauftrag verstärkt den Eindruck, den die ins Foto eingezeichnete Anordnung der beiden Fontänen zusammen mit der Pyramide und der Herkulesstatue entstehen lässt. Die im insgesamt dunkel gehaltenen Bild erzeugt die hellweiß leuchtende Farbgebung das Bild von drei Pyramiden übereinander. Zur Herkulespyramide gesellen sich die zwei Pyramiden in den Wasserbildern des Artischockenbeckens und der Fontäne des Encylados.

Die Pyramidenmetapher erfasst die Aufmerksamkeit der Betrachter. Legt der Künstler diese Bildwirkung nicht bereits unten im "Gemälde" der so intensiv nachkolorierten Schwarz-Weiß-Aufnahme an. Der starke Farbauftrag beginnt am Bowlinggreen und setzt sich in den Bosketts rechts und links fort. Das Blattwerk der Bäume strahlt üppig in den Herbstfarben. Hinter einer Linie oberhalb der Kaskadentreppen geht das satte Grün in ein Graugrün über. Der Wald rahmt die weiß schimmernde Wasserkunst ein.
Die Bäume, das Gras, alles ist abgestuft grün koloriert und zugleich dunkel gehalten. Dadurch leuchten auch die Halle des Sokrates und der Apollontempel so klar als weiße Objekte hervor. Das Farbbild erzeugt eine Diagonale von rechts unten nach links oben zur Plutogrotte. Hier wird dieser Blick eingefangen und auf die beeindruckende Anlage gelenkt. Das Oktogon ragt dreistufig und wuchtig über den Fontänen auf
. Es hebt sich in drei Braun-Tönen vom aufdringlich gesetzten Grün der Pflanzen ab und wirkt monumental.
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Foto links 2019, Foto rechts 2021